
Langsam fängt mir an Etwas zu fehlen. Und ich weiß auch ganz genau, was dieses Etwas ist. Das Arbeiten. Ein bisschen fehlt es mir, an meinen Arbeitsplatz zu fahren. Ein komplett anderes Umfeld zu haben. Mit Menschen zu arbeiten, die ich mag, interessant finde, aber vielleicht nicht unbedingt selbst als meine Freunde ausgesucht hätte. Wenn ich darüber nachdenke, vergesse ich manchmal kurz, warum das gerade nicht geht. Oder besser gesagt, nicht so gut geht. Ich könnte mir schon einen Job suchen. Aber ich möchte Karl gerne weiterhin voll stillen und ich möchte auch weiterhin studieren. Außerdem möchte ich, dass Martin sein Studium so schnell wie möglich beenden kann. Und mit Karl und Studium einen 450 € Job zu machen, stelle ich mir schon echt super hart vor. Vielleicht wenn er 1 ½ Jahre alt ist und endlich in die Kita darf, falls wir dann einen Platz kriegen. Das ist in Leipzig leider gar nicht so leicht. Es ist sehr wahrscheinlich, dass wir gar keinen bekommen. Und wenn, dann am anderen Ende der Stadt wo wir erstmal 45 Minuten hinfahren müssen. Zusätzlich die Kosten für die Kita, die man nicht unterschätzen darf.
Kurz bevor Karl auf die Welt gekommen ist, habe ich einen Artikel in der Zeit gelesen. Es ging darum, dass die Elternzeit ein irreparabler Einschnitt in das Arbeitsleben einer Frau in Deutschland ist, sie wird als eine staatlich subventionierte Einbahnstraße bezeichnet. Es würden sich aktuell bundesweit nur 1,9 % der Kinder unter einem Jahr in einer Kindertagesbetreuung befinden. 90 % der Frauen würden die Elternzeit in Anspruch nehmen, dagegen nur 37 % der Männer. Dabei wird in Frage gestellt, ob die Motivation der Mütter, Elternzeit zu nehmen tatsächlich persönlicher Natur ist oder doch eher einem normativen Zwang unterliegt. In den Köpfen der Deutschen ist die Frau, die zu Hause bleibt und auf die Kinder aufpasst immer noch sehr stark verankert. Ich persönlich schiebe hier auch eine große Verantwortung unser derzeitigen Politik zu. Seit Jahren werden wir konservativ regiert und auch wieder jetzt in der aktuellen Krise wird eine Sache deutlich: Wirtschaft geht vor, Kinder stehen hinten an. Die Kitas gehörten zu den letzten Institutionen, die nach dem Lock Down wieder geöffnet wurden. Autohäuser gehörten mit zu den ersten. Die Begründungen sind klar, Kinder haben noch kein Immunsystem, stecken sich untereinander an, würden die nötigen körperlichen Abstände nicht einhalten. Aber sind das tatsächlich Faktoren, die die Ansteckungsrate maßgeblich beeinflussen? Denn die meisten Kinder zwischen 2 und 6 sind nicht ohne ihre Eltern unterwegs. Das heißt, selbst wenn sie sich in der Kita gegenseitig anstecken, bleibt die Gefahr innerhalb der Familien. Und Kinder und junge Familien gehören zumindest grundsätzlich erst einmal nicht zur Risikogruppe. Dass für Angehörige der Risikogruppen andere Maßstäbe gelten, sollte klar sein. Aber gehört man selbst, oder ein Familienmitglied zur Risikogruppe, hat es sowieso nie ausgereicht, sich nur an Maßnahmen der Politik zu halten. Ich könnte so weiter diskutieren, es gibt definitiv Argumente für beide Seiten. Aber zusammen mit den anderen politischen Entscheidungen, wird trotzdem einfach deutlich, was Priorität hat. Da reicht es ja auch schon, wenn man sich die Familienpolitik außerhalb der Corona Krise anschaut. Eine Ausbildung zum/zur Erzieher*in ist schulisch, muss, zumindest in Sachsen, selbst bezahlt werden. Ist die Ausbildung dann abgeschlossen, verdienen sie oft ein Gehalt an der unteren Einkommensgrenze. Allein diese Faktoren sind mitunter Gründe, weshalb immer weniger Schulabgänger*innen eine Ausbildung zum Erziehenden machen.
Forscher empfehlen, dass 1 Erzieher auf 10 Kindergarten- bzw. 4 Krippenkinder kommen sollte. Der Betreuungsschlüssel Sachsen ist derzeit bei 1 zu 12, was aber nicht bedeutet, dass ein Erziehender maximal 12 Kinder betreuen darf. Es handelt sich vielmehr um einen Personalschlüssel. Berechnet wird dabei die Gesamtzahl aller Betreuungsstunden der Kinder durch die Gesamtzahl der theoretischen Vollzeitkräfte nach Gesamtarbeitsstunden. Deshalb sind in den Kernbetreuungszeiten (9-18:00) Gruppengrößen von 15-18 Kindern in Leipzig nicht unüblich. Dass 15-18 Kinder auf eine Person eine enorme Arbeitsbelastung sind, muss eigentlich nicht nochmal extra dazu gesagt werden. Um diese Situation in den Kindertagesstätten zu entlasten, hat sich das Land Sachsen (und auch viele andere Länder) etwas ganz besonderes ausgedacht: das Landeserziehungsgeld. Es handelt sich dabei sozusagen um eine Fortsetzung des Elterngeldes. Eltern erhalten dieses Geld, wenn sie keinen Betreuungsplatz in einer öffentlichen Einrichtung in Anspruch nehmen und weiterhin nicht oder nur in Teilzeit arbeiten wollen.
Und hier schließt sich der Kreis. Eltern, insbesondere Mütter, die ihre Kinder in die Kita schicken wollen, um wieder arbeiten zu gehen, müssen dafür Geld bezahlen. Mütter, die ihre Kinder zu Hause behalten und nicht arbeiten gehen bekommen Geld dafür. Natürlich kann das auch dazu führen, dass Kitas entlastet werden. Wobei es dieses Landeserziehungsgeld schon eine ganze Weile gibt und die Kitas immer noch überlastet sind. Viel mehr scheint es allerdings, als würde man Frauen einen Anreiz schaffen wollen, damit sie zu Hause bleiben. Weil Frauen mit Kindern sowieso nichts in der Arbeitswelt verloren haben. Wäre das Geld nicht besser investiert, würde man beispielsweise die Erzieherausbildung finanzieren?
Deutschland ist in dieser Hinsicht wirklich stark rückständig. Frauen, die für ihre einjährigen Kinder einen Betreuungsplatz suchen, werden häufig schief angeguckt. Wenn sie so früh an ihren Arbeitsplatz zurückkehren, werden sie gefragt, warum sie nicht bei ihren Kindern sind. Es werden ihnen regelrecht Schuldgefühle auferlegt, die die meisten auch ohne sie zu hinterfragen annehmen. Eine Mutter kann nicht arbeiten gehen, ohne sich gleichzeitig schuldig zu fühlen. So zumindest der allgemeine Tonus. Es ist nur eine Vermutung, aber ich denke die meisten Väter haben solche Fragen noch nie zu hören bekommen. Ganz anders ist das zum Beispiel in Frankreich. Dort kann man sein Kind schon mit 3 Monaten in eine Betreuungseinrichtung oder zu einer Tagesmutter bringen, was dort auch von allen Seiten unterstützt wird. Das heißt man kann es nicht nur rein rechtlich betrachtet, sondern es gibt auch viele Frauen, die von dieser Möglichkeit Gebrauch machen. Deutschland scheint momentan noch Lichtjahre von einer solchen Entwicklung entfernt.
Während der Schwangerschaft hätte ich mir das wahrscheinlich nicht vorstellen können. Mein drei Monate altes Baby in eine Betreuung bringen? Aber jetzt, wo Karl drei Monate alt ist, ist da dieses Gefühl. Es hat nichts damit zu tun, dass ich nicht gerne Mutter bin. Ich bin gerne Mutter und eigentlich möchte ich jede Sekunde mit meinem Baby verbringen. Aber es fehlt mir, intellektuell gefordert zu sein. Mamasein ist anstrengend und befriedigend, aber auf eine ganz andere Art und Weise. Ich brauche auch keine Auszeit von Karl. Es hat für mich einfach viel mehr etwas mit Unabhängigkeit zu tun. Martin würde bestimmt genug Geld verdienen, um uns beide irgendwie über die Runden zu bringen. Aber das möchte ich einfach nicht. Ich möchte mich selbst finanzieren können und ich möchte von niemandem abhängig sein. Und das ist es auch, was mir fehlt. Ich fühle mich nicht mehr unabhängig. Es fehlt mir, mein eigenes Geld zu verdienen. Schon alleine, weil ich mir gerne hin und wieder etwas Schönes kaufen möchte. Und ich finde es sehr schade, dass ich von Seiten der Politik immer wieder in die Abhängigkeit zurückgedrängt werde. Ich möchte niemanden verurteilen, der für sich selbst entscheidet, lieber zu Hause bei den Kindern bleiben zu wollen. Lieber nicht zu arbeiten und sich voll und ganz seiner Familie zu widmen. Das erfordert viel Hingabe und ist definitiv nicht leicht. Ich wünsche mir für mich einfach ein bisschen etwas anderes. Auch bestimmt erst mal keine 40 Stunden Stelle. Aber etwas, das mir genug einbringt, damit ich mir hin und wieder etwas Schönes leisten kann. Und damit ich keine Angst davor haben muss, was passieren könnte, sollte Martin einmal nicht mehr für uns da sein wollen oder können.