Nach unserer ‚ist das okay‘ Serie über sexuelle Übergriffe auf Instagram haben sich viele Frauen an uns gewendet und uns ihre Geschichten erzählt. Eine von ihnen hat einen Bericht für unseren Blog verfasst.
Zum Schutz und Wahrung der Identität der Im Text vorkommenden Personen und der Autorin haben wir (Marlies&Magdalena) den Originaltext teilweise gekürzt und Namen herausgenommen. Dennoch wurden keine Passagen verändert.
*Triggerwarnung Sexuelle Gewalt
„Mein Exfreund hat mich nach der Trennung gezwungen ihn am Penis zu berühren.“
„Im Zug an Fasching wurde ich an den Po gefasst.“
„Mann läuft nackt durch WGs und wichst darin.“
„Dick Pics von einem Typen auf tinder.“
„Von hinten antanzen im Club und der Penis wird so angerieben.“
„Popograbscher.“
„Der typische Popograbscher.“
„Bedrängt zum rummachen im Club.“
„Aufdringliche Männer die leicht angetrunken sind werden überschwänglich.“
„Nachts: Autofahrer hält an und fragt ob wir (ich und eine Freundin) ihm einen blasen.
„Im See wie eine Katze gerufen worden.“
„Mann sagte, ich habe einen schlechten Charakter, weil ich nicht durchgevögelt worden wäre.“
„Ein anderer wollte an der Haltestelle ein Foto von mir machen (ich hatte ein kurzes Kleid an)“
Frauen: Leserinnen, Abonnentinnen, Freundinnen
„Ich war fünfzehn als es passiert ist. Wenn ich heute daran zurück denke, weiß ich immer noch nicht ob es nicht eigentlich okay war. War es okay? Wenn ich es anderen erzählen würde, was würden sie dann sagen? Ich bilde mir ein, sie würden mir erzählen, dass das nicht schlimm war. Weil wir keinen Sex hatten. Er und ich. Nein, das hatten wir nie.
Ich war fünfzehn als es passiert ist. Fünfzehn und betrunken. Sex war für mich etwas, das ich zwar wollte, aber nicht hier und nicht jetzt. War es okay? Das weiß ich nicht. Wir. Hatten. Keinen. Sex. Also wurde ich nicht vergewaltigt. Also war es kein sexueller Missbrauch. Also muss es okay gewesen sein.
Ich war fünfzehn als es passiert ist. Fünf Jahre sind vergangen und wenn ich heute „sexueller Übergriff“ höre, dann tut sich etwas in mir. War es okay? Gedankenflut, wenn ich an die Frage denke. Ich glaube es war nicht okay. Nicht für mich. Ich kann nur nicht sichergehen, dass das Außen es auch nicht okay fände. Also schweige ich, zumindest vorerst.
Ich war fünfzehn und betrunken. Hausparty – bei ihm. Getränk des Abends? Caipirinha. Dazu Zigaretten. Schon nach wenigen Stunden im Badezimmer bemerke ich, dass ich sehr betrunken bin. Vielleicht betrunkener als beabsichtigt. Wobei, nein. Vielleicht war ich nicht betrunkener als beabsichtigt, aber auf jeden Fall betrunkener als mir gut getan hätte. Die Stunden vergingen, ich mochte ihn. Mochte ihn aufrichtig, aber Gefühle? Zumindest so etwas wie Schmetterlinge waren da nicht. Trotzdem war er nett. Auf die Weise nett, dass ich einfach noch Zeit gebraucht hätte um herauszufinden was sich da entwickeln könnte. Ich war müde. Wir gingen nach oben, in sein Zimmer. Er küsst mich. Ich küsse ihn. Er fasst mich an. Ich fasse ihn an. Wie schwerelose Wolken schweben wir übereinander. Lippen an Lippen, schweben wir dahin. Er fasst mich weiter an. Seine Arme gleiten von meinem Nacken über den Bauch zu meinen Beinen.
Nein, wenn ich ehrlich bin, dann weiß ich das gar nicht mehr. Ich bekomme es nicht mehr zusammen. Ich weiß nicht mehr wann und ob ich oder er mich ausgezogen hat. Ich weiß nicht mehr wann und ob er sich oder ich ihn ausgezogen habe. Weiß nicht mehr, ob er mit seinen Händen meine Brust gegriffen hat, oder ob er mehr auf meinen Po fokussiert war. Ich weiß nicht mehr wie er sich angefühlt hat, ob ich gestöhnt habe, ob er gestöhnt hat.
–
Ich weiß, dass ich da war. Und dass er da war. Ich kann mich an Hitze erinnern. Die Hitze seines Körpers, wie sie sich um mich warf wie ein riesiger Schleier. Wie sich die Hitze auf meinen Körper übertragen hat. Sich in jedem Körperteil verbreitet hat – außer meinen Händen.
Ich weiß nicht, ob er etwas gesagt hat. Aber ich weiß, dass ich etwas gesagt habe. Ich weiß auch, dass er es gehört hat. „Ich habe meine Tage.“ – mehr nicht.
Ich weiß noch, wie sich sein Penis zwischen meinen Beinen angefühlt hat. Wie ich mich gefragt habe, wie nah ich ihn an meine Vulva heranlassen kann, ohne dass er in die Vagina eindringen kann. Ich weiß noch, dass ich mich gefragt habe ob er bereits eingedrungen ist. Das wusste ich einige Sekunden später. Als seine Hände zwischen meine Beine gegriffen haben und er mit seinem Finger in meine Vagina gestoßen hat. Schmerz.
Hitze und Schmerz, während er das Tampon immer weiter in mich zu drücken schien. Schmerz. Das woran ich mich am besten erinnern kann ist der Schmerz. Danach die Hitze. Manchmal spüre ich ihn heute noch. Wenn ich Sex habe, nur für ein Blitzlicht. Dann ist da der Schmerz und dann ein Bild in meinem Kopf. Von mir in dem Moment, in dem ich den Schmerz gespürt habe, in der Dunkelheit.
„Ich habe meine Tage.“, ich wusste damals was ich damit meinte und weiß es noch. Es sollte soviel bedeuten wie „Ich fühle mich gerade nicht dazu bereit mit dir Sex zu haben. Ich bin nicht dazu bereit überhaupt irgendeine Form von sexuellen Verkehr zu haben. Ich möchte mich an das erste Mal mit dir oder jemand anderem erinnern können. Will nicht betrunken sein. Will nicht meine Tage haben. Ich möchte das gerade nicht, hör auf damit!“, aber keines der Worte formten sich so in meinen Mund, obwohl ich es eigentlich gesagt hatte: „Ich habe meine Tage.“
Alles was ich tat war die Initiative zu ergreifen. Flüchtete vor dem Schmerz und griff stattdessen nach seinem Penis und leckte daran.
Ich weiß nicht, wann und wie wir aufgehört haben.
Aber ich weiß, dass ich danach nackt neben ihm im Bett lag, den Rücken zu ihm gedreht. Tränen flossen über meine Wangen und mir war kalt. So, als habe die Hitze seines Körpers, jede Wärme aus meinem gezogen. Das nächste Mal, als ich mit dem Schmerz konfrontiert wurde, war, als ich am nächsten Morgen das Tampon aus meiner Vagina zog, im Beisein meiner Freundin. Weshalb habe ich ihr nicht erzählt, was los war und stattdessen dumme Witze gemacht?
Ob es okay war? Ich denke bis heute er wusste nicht, dass er eine Grenze überschritten hatte. Dass er älter war, als ich und Sex weit weniger besonders für ihn war. Ich kann ihm keinen Vorwurf machen und doch bin ich dazu verdammt den Schmerz immer wieder zu spüren. Auch jetzt noch, wo ich mit jemandem zusammen bin, der mein nein akzeptieren würde. Aber weiß ich das wirklich?
Ich war fünfzehn als es passiert ist.
Ich war neunzehn als ich erfahren habe, dass damals eine Grenze überschritten wurde. Immer wieder dachte ich an den Moment zurück, er war nie wirklich weg. Er war aber auch nie wirklich präsent, nie wirklich da. Bis zu dem einen Abend. Der eine Abend, an dem der Schmerz wieder da war. Beim Sex mit meinem damaligen Freund. Er berührte mich. Heftiger als ich es gewohnt war. Länger als ich es gewohnt war. Schmerz, Panik stieg in mir auf. Langsam bahnte sie sich an – mein Mund war wie zugeschnürt. Mit ihm mein Hals. Und meine Lunge.
Panikattacke. Schmerz. Ich konnte es nicht länger aushalten und meine Augen füllten sich mit Tränen. Ich musste mich aufsetzen, vor mir mein schockierter Freund. Ich konnte ihm nicht erzählen was los war. Bekam die Worte nicht geformt, die erklären konnten was da gerade passiert ist. Zwei Tage nahm ich mir Zeit, bis ich ihm über WhatsApp eine Nachricht hinterließ, was los war – damals.
Vielleicht ist es seine Antwort, die mich heute dazu bringt, nicht mehr darüber zu sprechen. Die mich zweifeln lässt, ob das nicht eigentlich doch okay war. Versuchte er mich zu verstehen? Vielleicht. Doch in erster Linie trafen mich Vorwürfe. Vorwürfe, dass er nicht mein Einziger, mein Erster, gewesen war. Eifersucht. Ich wäre nicht mehr die, für die er mich gehalten habe. „Jaja Schatz ich verstehe dich, aber versuche doch mal mich zu verstehen!“
Er hatte mich nicht verstanden. Stattdessen versuchte ich nun ihn zu verstehen. Verschobene Welt, in der man nicht weiß, wann etwas eigentlich angebracht ist zu sagen und wann nicht. Heute weiß ich, dass seine Reaktion falsch war. Und trotzdem kann ich nicht darüber sprechen. Wunden, die zu sensibel sind, um sie zu ignorieren und zu schmerzhaft, um darüber zu reden.
Wann kann ich mir als Frau sicher sein, dass ich reden darf?
Wann kann ich mir sicher sein, angenommen zu werden?
Ich habe bis heute keine Antwort darauf. Aber ich denke es hilft, sobald man geredet hat. Mit einer Person, bei der man sich sicher sein kann, dass sie dich ernst nimmt. Wenn diese Person nicht dein fester Freund ist, weil er männlich ist, dann ist das okay.
Das hat nichts mit Vertrauen zu tun, sondern mit Trauma. Mit Schmerzen und Mauern. Du kannst nicht erwarten eine Mauer in wenigen Sekunden zu durchbrechen, die du viele Jahre aufrechterhalten hast.
Bei mir sind es jetzt fünf Jahre und ich habe sie noch nicht durchbrochen und das ist okay so. Auch ein Minischritt ist ein Schritt – und sei es nur, dass du googelst, wie du solch ein Trauma angehen kannst. Sei es dadurch, dass du dir auf Instagram, Spotify oder sonst irgendwo Geschichten von Frauen anhörst, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Heutzutage gibt es kaum Frauen, die das nicht haben. Sie trauen sich nur nicht zu reden und auch das ist okay. Doch um die Mauern zu durchbrechen, müssen wir füreinander da sein. Den anderen annehmen. Ihnen zeigen, dass jede Mauer durchbrochen werden kann. Zeigen, dass sie nicht alleine sind, niemals. Auch dann, wenn es Stimmen gibt, die ihnen das Gegenteil vermittelt.
Wenn wir gemeinsam laut werden, können sie unseren Schmerz nicht ignorieren.“
da kann ich keinen like dran machen, weil es einfach nur schrecklich ist!
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