Ich habe gerade erfahren, dass ich schwanger bin. Ich bin überglücklich. Ich bin noch jung. Mein Partner und ich leben in einer gleichberechtigten Beziehung. Das Baby wird unser Leben bereichern. Wir werden eine Familie sein. Ich werde Mutter sein. Eine junge Mutter. Ich werde sämtliche Klischees brechen und mein eigenes Leben führen. Mich trotz Mutterschaft nicht selbst verlieren. Ich werde alles anders machen.
Die Wochen nach der Geburt vergehen wie im Flug. Jeder Tag ist wundervoll und wertvoll. Ich stille pausenlos. Meine Brüste tun mir unendlich weh. Das Baby ist nicht mehr in mir drin, aber es klebt pausenlos an mir. Ich liege nachts wach und stille, während mein Partner leise vor sich hin schnarcht. Am nächsten Tag beklagt er sich, wie müde er sich fühlt. Ich nicke höflich und denke, dass er gar nicht weiß, was Müdigkeit überhaupt bedeutet. Mein Freund arbeitet, studiert, lernt zwei neue Programmiersprachen, spielt täglich Gitarre, macht Sport und lernt ein neues Instrument. Ich bin froh, wenn ich es schaffe, meine Haare zu waschen. Er macht Sport, während ich auf das Baby aufpasse und nebenher Abendessen koche. Während ich Sport mache, passe ich selbst auf das Baby auf. Ich passe auf das Baby auf, während ich das Bad putze. Ich passe immer auf das Baby auf. Ich bin erschöpft.
Und irgendwann kommt der Tag an dem ich aus allen Wolken falle. Ich bin Hausfrau und Mutter. Es ist einfach so passiert. Ich habe mich selbst aufgegeben. Die Mutterrolle hat mich komplett überwältigt und in sich eingeschlossen.
Junge Eltern zu sein, heißt eben doch nicht, dass man allen Klischees trotzen kann.
Und jetzt? Bedeutet das mein persönliches Ende? Hängt das Damoklesschwert über einer Mutter? Bin ich dazu gezwungen, sämtliche Klischees zu bedienen und mich selbst zu verlieren?
Nein.
Dass der Eindruck entsteht, als Mutter würde man sich selbst verlieren, ist ein gesellschaftliches Problem. Denn vor allem für viele Frauen, bedeutet es genau das. Mütter sind in unserer Gesellschaft immer noch diejenigen, die ausschließlich mit der Kindererziehung in Verbindung gebracht werden. Eine Mutter ist die liebende Hausfrau und kümmert sich hingebungsvoll um ihre Familie, oder sie ist die ‚Powerfrau‘, die es schafft, Familie und Arbeit zu bewältigen. Wir sehen überall ordentliche Kinderzimmer in Naturfarbtönen, Babys in sauberer weißer Kleidung und Mütter, die pures Glück ausstrahlen, weil ihre Work-Life-Balance so super ist. Väter werden in der Öffentlichkeit sowieso eher weniger mit einem Baby in Verbindung gebracht. Wenn, dann eher aus dekorativen Gründen.
Mütter, die versuchen diesem realitätsfernen Bild zu entsprechen, werden schnell merken, dass sie an eine Grenze stoßen. Es ist schlichtweg unmöglich, allen diesen Anforderungen gerecht zu werden, ohne sich selbst aufzugeben. Auf der einen Seite steht das fiktive Bild der Mutter, die allen möglichen Anforderungen gerecht wird, während sie sich nebenbei auch noch selbst verwirklicht. Auf der anderen Seite die reale Mutter, die das alles eben nicht schafft. Wenn dann eine Mutter sagt, sie ist mit der Elternschaft hin und wieder überfordert, dann runzeln wir die Stirn. Denn es sieht doch immer alles so einfach aus. Wir fangen an, diese Mutter zu verurteilen. Wir sagen, sie würde sich selbst verlieren.
Inzwischen ist mir klar: ich habe die Wahl. Die Wahl, vollständig in der Mutterrolle aufzugehen oder ständig gegen diese anzukämpfen. Aber egal für welche der beiden Möglichkeiten ich mich letztendlich entscheide, bedeutet das in erster Linie nicht, dass ich mich selbst aufgebe. Es bedeutet, dass ich mich weiterentwickele. Eine Selbstaufgabe entsteht erst dann, wenn eine Mutter keine Wahl hat. Dann, wenn sie sich ihrer Wahl vielleicht gar nicht bewusst ist. Dann, wenn sie unterdrückt wird und keine Wahl treffen kann. Und für diese Mutter kämpfe ich. Damit wir es endlich schaffen, die traditionellen Rollenbilder zu durchbrechen. Damit jedes Elternteil immer eine Wahl hat.