Mama ärgert. Papa ärgert.

„Du bist eine tolle Mama. Ich bin gerade schwanger und hoffe, dass ich es auch so gut hinbekomme, wie du.“

Wir sitzen zusammen in der Badewanne. Das erste Mal, seit meine kleine Schwester auf der Welt ist. Ich habe es vermisst, mit dir zu planschen. Irgendwann stehst du auf. „Mama geht jetzt raus. Möchtest du noch weiter planschen?“ „Weiter planschen.“, sage ich und lache zufrieden. Du trocknest dich ab und ich merke, dass es nicht so viel Spaß macht, alleine in der Wanne zu sein. Ich ziehe den Stöpsel. Du schaust mich an und lächelst. „Möchtest du doch raus?“ „Raus.“ „Dann sammel mal deine Spielsachen auf und gib sie mir.“. Ich nehme die Spielsachen, schütte das Wasser aus und reiche sie dir. Plötzlich steht Papa mit dem weinenden Baby vor der Tür. Du drehst dich weg und sprichst mit ihm. Ich halte dir das Spielzeug hin, aber du bemerkst es nicht. Ich werde ungeduldig, ich möchte raus. Mir wird kalt. Ich sage „Mama“, aber du hörst mich nicht. Gerade als du dich umdrehst und auf mich zukommst, werfe ich das Spielzeug aus der Wanne. Alles wird ganz nass, das sah lustig aus. Ich lache, aber du schaust mich ganz böse an. „Ich mag es nicht, wenn du alles nass spritzt.“ Nass spritzen? Ja, das macht Spaß. Ich stampfe mit dem Fuß in die Badewanne und ein großer Schwall Wasser spritzt umher. „Ich hab dir gerade gesagt, dass du das nicht tun sollst! Jetzt kommst du sofort raus!“. Du packst mich und stellst mich neben die Wanne, legst mir ein Handtuch über die Schulter. Dann ziehst du dein Oberteil aus, das ganz nass geworden ist und trocknest dich nochmal ab. Auf einmal merke ich, dass der Boden unter meinen Füßen warm und ein bisschen nass wird. Ich gucke nach unten. Oh! Ich muss pullern. „Mama, pullern.“ Du schaust mich an. „Wieso machst du das? Wieso pullerst du auf den Boden? Du kannst doch aufs Töpfchen gehen!“ Du ziehst mich beiseite, um den Badvorleger hochzunehmen und den Boden sauber zu machen. Ich stehe da, muss immer noch pullern. Wieder verliere ich ein paar Tropfen. „Mama pullern.“ „Was soll das denn? Wieso machst du das schon wieder? Geh schon mal in dein Zimmer, ich komme gleich, dann ziehen wir dich an.“ Du schiebst mich wieder zur Seite, damit du den Boden sauber machen kannst. Ich laufe ein paar Schritte, aber dann kann ich es nicht mehr halten und eine große Pfütze entsteht auf dem Boden. „Mama, nass“. Du schaust mich wieder an und plötzlich wirst du ganz laut. „Mir reichts!“, du schmeißt das Handtuch auf den Boden, nimmst das Baby aus Papas Armen und gehst. Ich schaue dir hinterher.

Ich knalle die Tür vom Schlafzimmer zu und setze mich mit dem Baby aufs Bett, um zu Stillen. Ich bin so erschöpft, wütend und ein bisschen traurig. Zwei Wochen Quarantäne liegen hinter uns. Zwei Wochen, in denen ich den Löwenanteil der Care Arbeit stemmen musste. Weil mein Mann richtig krank war, im Gegensatz zu mir. Zwei Wochen, obwohl ich eigentlich noch mitten im Wochenbett stecke. Der Tag heute war chaotisch. Das Baby hatte eine unruhige Nacht, ich selbst habe vielleicht 3 Stunden geschlafen. Dazu kam, dass der Große ausgerechnet heute keinen Mittagsschlaf machen wollte. Ich hätte diese Pause gebraucht. Trotzdem haben wir versucht, den Mittagsfrust aus der Welt zu schaffen, sind Eis essen gegangen, die neugewonnene Freiheit genießen. Und zum Abschluss das erste Mal Baden mit meinem Großen, meiner Bohne. Das habe ich wirklich vermisst. Es ist schon ganz schlimm für mich, dass er nachts nicht mehr zwischen uns liegt, sondern nur neben seinem Papa. Damit er sich nicht aus versehen auf das Baby rollt, falls ich beim Stillen einschlafe.

Aber der Tag sollte einfach nicht besser werden. Es ist ein Scheißtag und Scheißtage sind eben Scheißtage. Ich bin so wütend. Er wollte mich einfach nur ärgern. Warum sollte er mich sonst nassspritzen und alles vollpullern?

Mein Mann kommt rein, sieht nach mir. „Ich bin so wütend. Denkst du ich muss mich bei ihm entschuldigen? Weil das kann ich gerade nicht.“. Mein Mann schüttelt den Kopf. „Nein, ist schon okay. Ich habs ihm erst Mal erklärt.“. Ich nicke, mein Mann geht wieder. Ein paar Minuten später höre ich aus der Küche seine wütende Stimme: „Warum wirfst du die Banane auf den Boden? Ich hab dir schon zwei Mal gesagt, wenn du etwas nicht essen möchtest, sollst du es mir geben und es nicht auf den Boden werfen. Das ist Verschwendung. Papa ist jetzt richtig sauer.“

Mein Herz wird schwer. Wir laufen beide auf dem Zahnfleisch, aber die Bohne hat es auch nicht gerade leicht mit uns. Als ich mich ein bisschen beruhigt habe, stehe ich auf, bringe das Baby zu meinem Mann und setze mich mit dem Großen auf die Couch. Er möchte ein Buch anschauen. Ich nehme das Buch und sage: „Tut mir Leid, dass ich vorher einfach gegangen bin. Mama mag es nicht, wenn im Badezimmer alles nass wird. Dann muss alles wieder sauber gemacht werden und das ist viel Arbeit. Deshalb war ich sehr verärgert.“ Ich werde mit großen traurigen Kulleraugen angeschaut „Mama ärgert. Papa ärgert.“ Wieder wird mein Herz ganz schwer. „Ja Schatz. Mama und Papa sind heute sehr müde. Das hat gar nichts mit dir zu tun. Da sind wir manchmal nicht so geduldig und schnell verärgert. Aber dafür kannst du nichts.“

Wir schauen das Buch an, danach bringt mein Mann ihn ins Bett. Ich gehe zurück ins Schlafzimmer, stille das Baby. Denke über die Situation nach. Wie es so weit kommen konnte.

Mama ärgert. Papa ärgert.

Jetzt ist da keine Wut mehr. Nur noch Traurigkeit. Und Klarheit. Klarheit, die weh tut. Sehr weh. Mir kommen die Tränen. Mein Kind ist zwei Jahre alt. Zwei Jahre. Er ist das liebste Kind, das ich kenne. Er versteht das Konzept von „etwas extra machen, um jemanden zu ärgern.“ noch gar nicht. Er kann das nicht tun, weil er nicht weiß, was es ist. Hinter jeder seiner Handlungen steckt immer eine Botschaft. Ich gehe den Abend Schritt für Schritt durch. Abends ist mein Kind müde. Das bedeutet, es ist nicht mehr wirklich dazu in der Lage, zu kooperieren – sich nach Mama und Papa zu richten. Deshalb bereiten wir normalerweise immer alles so vor, dass es reibungslos läuft. Ohne, dass viel Kooperation nötig ist. Beim Baden lege ich normalerweise alles bereit. Handtücher, Kleidung, Töpfchen, Windel. Heute habe ich das nicht gemacht. Deshalb musste ich nach meinem Mann rufen, damit er mir etwas zum Anziehen bringt. Und das ausgerechnet dann, als ich eigentlich gerade gemeinsam mit der Bohne aufräumen wollte. Natürlich wird er ungeduldig. Natürlich spritzt er alles nass. Natürlich, wo ich ihn auf einmal ignoriert habe, mich abgewandt, obwohl wir eigentlich gerade in Interaktion waren. Das war meine Schuld.

Aber was war das mit dem auf den Boden pullern? Was sollte das? Da ist sie wieder, die Klarheit. Er geht noch nicht so oft von alleine aufs Töpfchen. Morgens nach dem Aufstehen und abends vorm ins Bett gehen. Groß kündigt er manchmal an, aber klein? Noch nie. Aber wahrscheinlich bekommt er langsam ein Bewusstsein dafür. Er hat gemerkt, dass er pullern muss und es zurückgehalten, solange er konnte. Er wollte mir sagen, dass er aufs Töpfchen gehen muss.

Jetzt fange ich richtig an zu weinen. Wie konnte ich nur so gemein sein?

Mama ärgert. Papa ärgert.

Am nächsten Morgen nehme ich dich in die Arme. „Erinnerst du dich an gestern? Als Mama so verärgert war, weil du alles nass gespritzt hast?“ „Ja. Raus.“ „Ja genau, du wolltest aus der Badewanne raus. Mama hat das nicht verstanden. Mama hat den Abend nicht gut organisiert und deshalb musstest du zu lange warten und Mama hat dann auch noch einfach mit Papa gesprochen und dich ignoriert. Das war nicht gut, da hat Mama sich nicht richtig verhalten. Das tut mir sehr leid mein Schatz.“ Du schaust mich an, legst mir deine Hand auf die Wange. „Und als du auf den Boden gepullert hast? Erinnerst du dich daran?“ „Töpfchen.“ „Genau, du wolltest gerne aufs Töpfchen. Mama hat das auch nicht verstanden. Mama hat falsch reagiert und sich nicht richtig verhalten. Auch das tut mir sehr Leid. Ich hab dich so lieb mein Schatz.“ Du legst deine Arme um meinen Hals, drückst mich ganz fest an dich, gibst mir einen Kuss auf die Wange.

Für dich ist es wieder gut. Für mich nicht. Wie viele Fehler darf ich machen? Wie viele Fehler kannst du mir verzeihen? Und mit welchen Fehlern werde ich dauerhaft Schaden anrichten?

Kein Mensch ist perfekt. Kein Elternteil ist perfekt. Elternschaft bringt dich an deine Grenzen. Tag für Tag. Du kannst nur immer wieder dein Bestes geben. Du wirst mit Gefühlen konfrontiert, die so intensiv sind, dass du manchmal nicht weißt, wie du damit umgehen sollst. Dein inneres Kind kommt zum Vorschein. Du wirst wütend, obwohl es keinen Grund gibt. Du fühlst dich vielleicht in deiner Autorität angegriffen. Oder bist einfach nur zu erschöpft, um zu wissen wo oben und unten ist. Und da passieren Fehler. Denn Müdigkeit, Erschöpfung und starke Gefühle vermindern die Impulskontrolle. Das ist vollkommen normal.

Ich bin ich, daran kann ich nichts ändern. Aber ich kann jeden Tag daran arbeiten, eine bessere Mutter zu werden. Jeden Tag lernen, die Perspektive zu wechseln. Jeden Tag lernen, mit dir zu kommunizieren. Lernen, deine Bedürfnisse zu erkennen und gleichzeitig meine zu wahren. Keine Machtkämpfe, kein Streit. Es geht nicht um Macht. Es geht um Beziehung. Es geht um Bindung. Es geht um Liebe.

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