Worin liegt die Ursache für meine Panikattacken?
Ich sitze im Zug. Magdeburg – Leipzig, das Wochenende war gut, denke ich mir. Gleichzeitig schwingt Stolz mit. Ein kleines „Ich habs geschafft!“ mit bitterem Beigeschmack, denn was gibt es „zu schaffen“? Seit dem ich losgefahren bin dominiert mich eine subtile Angst vor allem was kommen und nicht kommen könnte. Ich kenne dieses Gefühl bereits zu gut. Die letzten Jahre war ich der festen Überzeugung ich hätte Panikattacken einzig und allein wegen einer drogeninduzierten Psychose mit 17. Heute weiß ich, dass das so nicht ganz stimmt. Die Angst war meine stetige Begleiterin. Als Kind wie als Jugendliche und natürlich auch jetzt. Sie hat sich nur immer etwas anders angefühlt, einkokoniert in Unwissenheit darüber, was mir fehlt. Je älter ich wurde, desto löchriger wurde die Hülle und mit ihr stieg das Bewusstsein über die Missstände meiner Psyche.
Ich benutze in der Beschreibung dieses Problems gerne die Analogie des inneren Kindes.
Mein inneres Kind sieht aus wie ich, nur mit 6. Ziemlich süß, mit kleinen gelockten Zöpfchen und Einschulungskleid. Wenn ich sie sehe lächelt sie bedrückt, manchmal stehen ihr Tränen in den Augen. Das bin ich, wie ich Angst habe, vor genau 19 Jahren. Allein gelassen mit Problemen, die eine 6-Jährige nicht haben sollte. Unter dieser Angst, damals wie heute, liegt etwas verborgen, das ich gerne immer wieder ausformuliere um es greifbarer, nahbarer zu machen. Ich will dem Ganzen die Macht und Größe nehmen, die es jetzt hat, wohlwissend, dass es immer ein Teil von mir sein wird. Aber wenn ich es schon nicht loswerde, dann will ich wenigstens damit leben können, oder?
Was ist es also, das mich ruhelos macht und mir den Schlaf raubt?
Einsamkeit. Ein Gefühl, dass so grausam und kräftezehrend ist, dass ich mich schwer tu damit es überhaupt in Worte zu fassen. Eine innere Leere und gleichzeitig eine überwältigende Flut an Trauer darüber, was ich als Kind hätte haben können aber nicht bekommen habe. Und Wut. Da ist ganz viel Wut in mir. Wenn ich könnte würde ich sie nehmen und auf direktem Weg zu meinem Vater rennen, ihm vor die Füße werfen mit den Worten „Guck was du mit mir gemacht hast!“ und ihm weh tun, so wie er mir weh getan hat als er all die Verantwortung auf mich übertrug, die ihm galt. Als er mich für ganze Tage und Nächte allein ließ mit meiner alkoholkranken Mutter und 2 jüngeren Geschwistern – eins davon neu geboren, um sich einer Situation zu entziehen, der er selbst nicht gewachsen war. Und dann ist da noch Wut auf das System, auf die Sozialarbeiter:innen und Lehrer:innen, die ihren Einsatz verpasst haben, mir meine Gefühle abgesprochen und meinem Vater zugesprochen haben.
In der Therapie habe ich gelernt zu verzeihen. Das war ganz schön scheiße und hat sich überhaupt nicht so gut angefühlt, wie ich erwartet hatte. Aber ich sollte wohl diese Wut loslassen um den ewig währenden Groll zu vermeiden, der sonst mein Leben bestimmen würde. Ich habe also gelernt, die Gründe für das Verhalten meines Vaters zu erkennen und zu akzeptieren, dass ich es nicht ändern kann. Was vergangen ist, ist vergangen. Doch was bleibt ist der Schmerz darüber, dass tief in mir etwas zerbrochen ist, das ebenso unumkehrbar ist. Das kleine Kind, das einfach nur ein kleines Kind sein wollte, ohne auf die betrunkene Mama oder die auf sich gestellten Geschwister zu achten. Mit 7 ist einem noch nicht bewusst, welche Vorgänge Zuhause unter „Kindeswohlgefährdung“ einzuordnen sind. Rückblickend betrachtet gab es von solchen Momenten in meiner Kindheit jedoch genug. Sie rissen mir den Boden unter den Füßen weg und nahmen mir jede Sicherheit, die ich gebraucht hätte. Gaben mir eine schwer depressive, alkoholkranke Mutter und einen cholerischen, überforderten Vater mit einem Aggressionsproblem dem er nicht nur verbal regelmäßig Luft machte.
Ich weiß nicht, wie oft ich vor meiner schlafenden Mutter gestanden und versucht habe sie zu wecken, ohne Bewusstsein darüber, wie tief ein Mensch unter Alkoholeinfluss schlafen kann. Was ich in diesen Momenten verspürt habe, hat sich in mein Unterbewusstsein eingefressen. Die Angst, die eigene Mutter tot aufzufinden und allein zu sein, auf sich gestellt, und der Rattenschwanz den das Ganze mit sich ziehen würde (Ja, ich habe als Kind schon gespürt, dass ein Leben OHNE meine Mutter noch beschissener wäre als mit). Angst und mit ihr verbunden eine enorme Unsicherheit. Ich habe damals Dinge gesehen und gefühlt, die mich bis heute verfolgen und Teil von mir geworden sind. In jeder ungewohnten, überfordernden Situation in der mich die Unsicherheit meiner Kindheit einholt überwältigt mich zeitgleich die Angst. Denn da ist ja niemand auf den ich mich verlassen kann. Nur ich selbst und die Welt um mich herum, die manchmal viel zu viel ist.
Den letzten Satz habe ich nicht ganz so gemeint, aber schon oft so gefühlt.
So wie ich vieles fühle, vor allem jetzt. Und das ist auch gut so, denn Gefühle wollen gefühlt werden.
Nicht ohne Grund habe ich für diesen Text deutlich länger gebraucht als für die vorherigen. Um nicht ganz so negativ abzuschließen, hier ein kleiner Lichtblick. Gerade geht es mir gut und das ist es was zählt. Nächstes Mal erzähle ich euch, wie ich es dahin geschafft habe.
Lasst es euch gut gehen.
Amira
